"Mischt Euch ein und vertraut dabei auf Euer Gefühl"

Diana und Lennart von soliport im Doppel-Interview

Ein Bild von einem Handy-Display, in dem der Begriff soliport erklärt wird.
Soliport setzt sich aus den Begriffen Solidarität und Support zusammen (Foto: soliport).
Profis
Samstag, 01.04.2023 / 10:00 Uhr

Von Moritz Studer

Unser Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim (So., 02.04., 17.30 Uhr) ist ein Aktionsspieltag unter dem Motto „Misch dich ein“. Der SV Werder Bremen zeigt nicht nur aus diesem Anlass „Klare Kante gegen Rassismus“. Im Vorfeld der Begegnung haben wir mit Diana und Lennart (Namen geändert) von soliport gesprochen. soliport ist eine Beratungsstelle, an die sich Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wenden können und die u.a. vom Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend gefördert wird. Unsere beiden Gesprächspartner:innen äußern sich u.a. über zu den Herausforderungen ihrer Arbeit, ihren Beratungen und die Bedeutung von Zivilcourage.

WERDER.DE: Moin Diana, moin Lennart, warum ist es wichtig, dass es soliport gibt?

Diana: Leider ist es so, dass unsere Gesellschaft Menschen, die zum Beispiel antisemitische, rassistische oder queerfeindliche Gewalt erleben, oftmals alleine lässt. Unsere Grundidee ist daher, an der Seite von Betroffene zu sein und sie auf ihrer Suche nach Handlungsmöglichkeiten zu unterstützen. Das spiegelt sich auch in unserem Namen wider: soliport setzt sich aus „Solidarität“ und dem englischen Wort „Support“ zusammen.

Lennart: Unsere ganze Gesellschaft ist meiner Meinung nach primär „täterorientiert“. Eine Tat wird mit einer Strafe sanktioniert. In diesem Kreislauf fällt aus dem Bewusstsein, was mit den Betroffenen von beispielsweise Rassismus passiert. Sie müssen die Gewalterfahrungen auch nach juristischen Prozessen mit sich tragen – manchmal  ein Leben lang. Wenn die Täter:innen bestraft werden, ist es für die Leidtragenden unter Umständen noch lange nicht gut. Um diese Menschen nicht alleine zu lassen ist soliport wichtig. Bei uns stehen die Betroffenen im Zentrum. Wir bieten ihnen einen geschützten Raum.

 

WERDER.DE: Das heißt, es kommen auch Leute wiederkehrend zu Euch.

Diana: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben Beratungsprozesse, bei denen wir mehrere Jahre an der Seite eines Menschen sind. Die Bedürfnisse und Wünsche der Ratsuchenden stehen im Mittelpunkt . Was in der Beratung passiert, ist somit sehr individuell. Manchmal geht es bei akuten Erlebnissen  nur um eine Sachfrage und nach dem Anruf geht der Kontakt wieder auseinander. Unser Gegenüber weiß aber, wir sind da und die Beratungsnehmenden können wieder Kontakt aufnehmen.

Lennart:  Gerade bei Rassismus sind die Grenzen zwischen akuten und wiederkehrenden Beratungsanlässen fließend.  Der akute Anlass für eine Beratung im rassistischen Kontext beispielsweise dient manchmal als Katalysator für die Sichtbarmachung der kumulativen Effekte zurückliegender rassistischer Erfahrungen.  Es kann sein, dass unsere Unterstützung Monate oder Jahre nach einer zunächst angeschlossenen  Beratung durch die Folgewirkung der Erlebnisse wieder aufgesucht wird.

Eine Beratung bedeutet auch für mich selbst eine gewisse Verarbeitung
Lennart, Berater bei soliport

WERDER.DE: Und wie viele akute Beratungen werden monatlich angefragt?

Diana: Mit Zahlen tun wir uns schwer. Wir können aber sagen, dass es Phasen gibt, in denen wir über längere Wartezeiten nachdenken müssen. Zum Glück haben wir es bislang immer noch geregelt bekommen. Wir decken verschiedene Facetten rechtsmotivierter Gewalt ab. Genauso haben wir auch ein breites Verständnis von Gewalt. Wir arbeiten mit den Begriffen: Blicke, Worte, Fäuste. Das Wechseln der Straßenseite oder das Wegsetzen in der Straßenbahn können mindestens genau so verletzend sein wie physische Gewalt.

Lennart: Es geht weniger um eine Zahl, als vielmehr um den Menschen, der in die Beratung kommt. Jede Beratung stellt eine erhebliche Belastung da. Es kommen teilweise erwachsene Menschen zu uns, die ansonsten ihr Leben ganz normal stemmen. Eine Beratung bedeutet auch für mich selbst eine gewisse Verarbeitung z.B. durch die Schilderung der Gewalterfahrung, die Verarbeitung und Begleitung im Beratungsprozess und die damit verbundenen psychoemotionale und psychosozialen Belastungsmomente.

WERDER.DE: Und weil die Betroffenen mit Euch intime und sensible Erfahrungen teilen.

Lennart: Wenn Menschen in die Beratung gehen, müssen sie sich eingestehen, ihre eigenen anlaßbedingten  Erfahrungswerte nicht selbst bewältigen zu können. Die Betroffenen geben uns einen Einblick in ihre schwächsten Momente. Bevor unsere Beratung gesucht wird, haben wahrscheinlich  anderen Instanzen wie zum Beispiel die Familie oder der Freund:innenkreis nicht gereicht. Wir arbeiten in einem Feld, das sehr viel Vertrauen in uns verlangt. Diese Momente machen uns klar, wie wichtig unsere Worte sind aber auch, welche Verantwortung auf uns zukommt.

Diana: Wir dürfen dabei auch von den langjährigen Erfahrungen von den Schwester-Projekten in den anderen Bundesländern und unseres Dachverbands profitieren. An dieser Stelle mal ein großes Dankeschön an unsere Kolleg:innen! Und wir sind ein auseinandersetzungsfreudiges Team. Wir versuchen uns auch immer wieder als Team und individuell vor dem Hintergrund unterschiedlicher Positioniertheiten und Erfahrungen machtkritisch zu reflektieren.

WERDER.DE: Es gibt Vorfälle, die auf der Web-Chronik „keine Randnotiz“ gelistet werden. Gibt es Eurer Meinung nach eine gesellschaftliche Entwicklung, die zu erkennen ist?

Lennart: Natürlich beobachten wir auch welt-, innenpolitische oder Ereignisse in Bremen. Ein Teil der Überlebensstrategie von Rassismus ist es, dynamisch zu sein und auch in einer sich wandelnden Gesellschaft seine Gestalt zu wandeln. Wir sollten uns nicht vormachen, dass es besser geworden ist. Wenn dem so wäre, dann wäre das Thema Rassismus erledigt. Die Ursachen sind noch immer wirkmächtig.

Das kann auch einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie Betroffenen ihre Erlebnisse künftig in ihr Leben integrieren können.
Diana, Beraterin bei soliport

WERDER.DE: Unser Aktionsspieltag „Klare Kante gegen Rassismus“ steht auch unter dem Motto „Misch Dich ein“: Was ratet ihr Menschen, die Zeug:innen von rechtsmotivierter verbaler oder körperlicher Gewalt werden?

Diana: Wir haben eingangs gesagt, dass wir die Betroffenen nicht alleine lassen wollen. In dieser Situation hilft ein Perspektivwechsel. Wie würde es mir gehen? Was würde mich unterstützen? Das sind mögliche Fragen, die sich jede:r stellen könnte. Antworten auf diese Fragen können uns Orientierung geben. Es macht einen großen Unterschied, ob jemand unterstützt oder schweigend weiterläuft, obwohl sie Zeug:in ist. Es macht einen Unterschied, ob ich mich selbst als Zeug:in und Unterstützer:in verstehe. Nur dann kann ich entsprechend handeln. Das kann auch einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie Betroffenen ihre Erlebnisse künftig in ihr Leben integrieren können.

WERDER.DE: Wie können Zeug:innen eingreifen ohne sich selber in Gefahr zu bringen?

Diana: Wichtig ist, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen und trotzdem unterstützend zu sein. Wenn möglich den Blickkontakt suchen, andere Unterstützung zu holen und genau zu beobachten, um sich als Zeug:in zur Verfügung zu stellen. Oder auch sich als Begleitung weg vom Ort anzubieten und aufmerksam zuzuhören.

Lennart: Die Überlegung, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen, setzt voraus, Gefahr zu erkennen bzw. erkannt zu haben. Dann findet eine Entscheidung statt. Jede:r kann einen Beitrag dazu leisten, was sie oder er machen kann. Auf kurz oder lang kann jede:r an der Position der betroffenen Menschen stehen. Das ist kein Plädoyer dafür, sich mit purem Aktionismus in Gefahr zu geben…

Diana: …mischt euch ein und vertraut dabei auf euer Gefühl. Sich nicht einzumischen wird von den Betroffenen als Akzeptanz oder Zustimmung wahrgenommen. Das ist für diesen Menschen und auch gesamtgesellschaftlich ein fatales Zeichen.

Liebe Diana, lieber Lennart – vielen Dank für das sehr interessante Gespräch!

 

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