"Der Alptraum, den wir vorhergesagt haben"

Christian Rudolph, LGBTQ+-Beauftragter des DFB, im Interview

Der LGBTQ+-Beauftragte des DFB Christian Rudolph
Christian Rudolph ist LGBTQ+-Beauftragter des DFB (Foto: Caro Kadatz).
Gesellschaft
Mittwoch, 30.11.2022 / 17:00 Uhr

Das Interview führte Yannik Cischinsky

Die Diskussionen um die "One-Love-Armbinde", ein Flitzer mit Regenbogenfahne beim Spiel Portugal gegen Uruguay, Reporter, die mit Shirts Statements aus den WM-Stadien senden - in Katar ist das Thema geschlechtliche Vielfalt das wohl meist diskutierte, insbesondere weil im Gastgeberland Katar beispielsweise Homosexualität unter Strafe steht und es im Vorfeld immer wieder diskriminierende Aussagen gegenüber der LGBTQ+-Community gab. WERDER.DE hat mit Christian Rudolph gesprochen. Er ist Leiter der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball, einem gemeinsamen Projekt des Deutschen Fußball Bund (DFB) und dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD).

WERDER.DE hat mit Rudolph über Statements und Symboliken und Outings im Profi-Fußball gesprochen - und darüber, wie seine kritische Haltung gegenüber FIFA und WM in Katar mit der Anstellung beim DFB zusammenpasst.

WERDER.DE: Rund um den Start der WM sind insbesondere die Diskussionen um sichtbare Zeichen für Vielfalt wie die Regenbogenflagge hochgekocht. Vermutlich steht dein Telefon aktuell nicht still, oder?

Christian Rudolph: „Es ist der Alptraum, den wir vorhergesagt haben. Wir sind vom Vorgehen der FIFA und Katar nicht wirklich überrascht, wir haben das so erwartet. Deswegen haben wir im Vorfeld die Gesprächsrunden mit dem DFB geführt, zu der auch Mitglieder der queeren Community eingeladen waren, um unsere Ängste deutlich zum Ausdruck zu bringen. Das war ein guter Schritt. Aber jetzt sehen wir, dass Versprechen wie „Everybody‘s welcome“, die im Vorfeld seitens der FIFA gemacht wurden, nichts wert sind.“

WERDER.DE: Wie hast du die Diskussion um die „One-Love-Binde“ wahrgenommen?

Christian Rudolph: „Ich finde es ziemlich bizarr, dass ausgerechnet die One-Love-Armbinde zum Politikum wird. Eigentlich gab es den Wunsch, dass wir, wie bei der EM, die Regenbogen-Armbinde tragen. Damals ist die deutsche Nationalmannschaft vorangegangen, andere Verbände sind gefolgt. Jetzt wurde versucht in einer Allianz mit sieben europäischen Verbänden gemeinsam aufzutreten und ein starkes Zeichen zu setzen. Dabei ist bereits der in meinen Augen weiche Kompromiss mit der One-Love-Botschaft rausgekommen, die Regenbogen-Binde wäre uns als Community deutlich lieber gewesen. Und trotzdem wurde die Binde von der FIFA verboten. Das Verbot kurz vor dem ersten England-Spiel hat einmal mehr gezeigt, wie willkürlich die FIFA vorgeht. Es war ja viel früher bekannt, dass diese Verbände mit der One-Love-Armbinde auflaufen werden.“

WERDER.DE: Wie bewertest du das Zeichen, dass Innenministerin Nancy Faeser beim ersten Gruppenspiel Deutschlands die One-Love-Binde auf der Tribüne neben FIFA-Präsident Gianni Infantino getragen hat?

Christian Rudolph: „Ganz ehrlich, das sind genau die Zeichen, die wir vermeiden wollten. Es verbessert die Situation nicht, wenn Nancy Faeser mit der One-Love-Armbinde auf der Tribüne sitzt. Auch eine Regenbogen-Armbinde hätte es nicht besser gemacht. Wir hätten uns gewünscht, dass sie nicht nach Katar reist und solche Bilder erst gar nicht entstehen.“

WERDER.DE: Du bist nicht selbst vor Ort. Kennst du jemanden aus der queeren Community, der zur WM gereist ist?

Christian Rudolph: „Nein, niemanden.“

Wo ist die Haltung der UEFA, die im letzten Jahr noch die Regenbogen-Armbinde als Zeichen der Vielfalt eingestuft hat?
Christian Rudolph

WERDER.DE: Wie verfolgst du die Geschehnisse in Katar, beispielsweise bei Einlasskontrollen in den Stadien?

Christian Rudolph: „In meiner Position als LGBTQ+-Beauftragter des DFB erreichen mich viele Nachrichten dazu. Dabei lese ich eine große Enttäuschung heraus, dass sich sieben große Fußballverbände dem Druck der FIFA beugen. Dass wir bei dem Spiel mitmachen, ist ein Signal, das wir in die Welt senden. Gleichzeitig freue ich mich über die spürbar wachsende Solidarität in der Sportwelt. Die Regenbogenflagge ist jetzt auch in anderen Sportarten immer öfter zu sehen. So soll es sein, wir sollten uns alle verpflichtet fühlen, ein deutliches Zeichen zu setzen. Andererseits könnten sich Vereine oder Verbände, die nicht an der WM beteiligt sind, noch viel stärker bei dem Thema positionieren. Wo ist die Haltung der UEFA, die im letzten Jahr noch die Regenbogen-Armbinde als Zeichen der Vielfalt eingestuft hat? Da müsste meiner Meinung nach noch viel mehr passieren, auch in der Bundesliga.“

WERDER.DE: Wie empfindest du öffentliche Statements und Zeichen für Vielfalt von Bundesligisten wie Mönchengladbach, St. Pauli oder auch Werder, vor dem Hintergrund, dass sich noch kein aktiver Fußballprofi in Deutschland geoutet hat?

Christian Rudolph: „Ich denke schon, dass viele Symboliken ganz wichtig sind. Die haben wir lange nicht gehabt. Gerade zu den wichtigen Jahrestagen, wie dem 17. Mai – dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie - oder dem Pride-Monat, finde ich die Zeichen enorm wichtig. Was ich mir noch stärker wünschen würde, wäre, dass die Botschaften auch von Personen getragen werden. Um deutlicher zu zeigen, dass auch Personen dahinterstehen. Gleichzeitig würde ich mir auch mehr Offenheit in anderen Bereichen der Fußballbranche wünschen. Auch Coming-outs von Vereinsmitarbeiter:innen oder Sportjournalist:innen würden der Akzeptanz von Homosexualität helfen.“

WERDER.DE: Welche Gefühle hat die Äußerung des WM-Botschafters Khalid Salman, dass Homosexualität ein „geistiger Schaden“ sei, bei dir persönlich ausgelöst?

Christian Rudolph: „Komplettes Entsetzen. Zumal diese Aussagen nur ein paar Tage nachdem Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser in Katar war, getätigt wurden. Das hat uns ganz deutlich gezeigt, wie falsch das alles ist und wie aggressiv die PR-Maschine der FIFA versucht, uns die wunderbare Welt des Fußballs zu verkaufen. Sie tun so, als ob sich die Welt nicht weiterdrehen würde. Aber die Welt dreht sich weiter, nur der Weltfußball anscheinend nicht.“

Ich denke schon, dass diese Weltmeisterschaft uns auch in Deutschland deutlich den Spiegel vorhält.
Christian Rudolph

WERDER.DE: Vertreter:innen Katars fordern immer wieder öffentlich, dass die Gäste ihre Kultur und Werte respektieren müssten. Ist das eine gerechtfertigte Forderung?

Christian Rudolph: „Menschenrechte, die von den Vereinten Nationen beschlossen wurden, gelten überall. Sie sind nicht verhandelbar. Dementsprechend sind die Rechte von Frauen und Minderheiten zu schützen. Auch die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit sind elementare Bestandteile dieser Rechte. Die sollten gerade bei einer Fußballweltmeisterschaft gelten, bei der alle Menschen friedlich zusammenkommen. Die FIFA hat seit 2017 eine eigene Policy zu dem Thema, die nur aufgrund von Druck aus der Öffentlichkeit entstanden ist. Diese wird nicht im Ansatz vertreten und durchgesetzt.“

WERDER.DE: Wie passen diese kritische Haltung und deine Anstellung beim DFB zusammen?

Christian Rudolph: „Als wir mit dem DFB über die Anlaufstelle gesprochen haben, gab es drei zentrale Forderungen: Es sollte eine externe Stelle sein, die in Vollzeit bezahlt wird und vollfinanziert ist. Es sollte einen festen Kontaktpunkt für die LGBTQ+-Community beim DFB geben. Meine Aufgabe ist es, die kritischen Stimmen aus der Community in den Verband zu tragen und in den Austausch zu kommen, damit Menschen eine Stimme bekommen, die im Fußball bisher wenig oder gar nicht gehört wurden. Ich finde eine kritische Stimme im DFB, auch wenn ich nach wie vor eher von außen einwirke, sehr wichtig. So können wir eine Haltung für einen gemeinsamen Weg entwickeln und zeigen, dass Fußball wirklich für alle da ist."

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WERDER.DE: Du hast in einem Interview die WM in Katar als eine „Party auf der Titanic in der Businessclass“ bezeichnet. Wie nah ist der internationale Fußball durch diese WM dem Eisberg gekommen?

Christian Rudolph: „Meiner Meinung nach haben wir den Eisberg schon längst gerammt und versuchen gerade noch im Maschinenraum zu retten, was noch zu retten ist. Aber eigentlich sind die Rettungsbote schon im Wasser, um im Bild zu bleiben. Was ich damit sagen möchte ist, dass eine Weltmeisterschaft in den Augen vieler Fans die ich kenne nur noch ein Event für die Funktionäre, Spieler und Sponsoren ist. Ich habe starke Zweifel daran, dass zum Beispiel eine Arbeiter:innen-Familie aus Argentinien sich Stadionbesuche vor Ort leisten kann. Wir können die WM zwar alle vor dem Fernseher als große Show verfolgen, aber es ist kein Treffen der Menschen und der Kulturen mehr.“ 

WERDER.DE: Wie groß ist die Gefahr, dass sich diese Entwicklungen negativ auf die Bundesliga auswirken?

Christian Rudolph: „Ich denke schon, dass diese Weltmeisterschaft uns auch in Deutschland deutlich den Spiegel vorhält. Schon nach Corona hatten viele Leute die Hoffnung, dass sich die Kommerzspirale im Fußball nicht mehr weiterdreht. Die Weltmeisterschaft widerlegt diese Hoffnung und ich befürchte auch einen Ausverkauf des Fußballs, nicht nur in der Bundesliga.“

 

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