WERDER ZWEI ABGESTIEGEN. ODER DOCH NICHT?

Am Spitzenbrett Tomi Nyback
Schach
Sonntag, 26.03.2023 / 10:15 Uhr

Martin Breutigam

Die Stimmung im Team bestens, auch die Motivation durchweg hoch – und trotzdem ist es für Werder Zwei sportlich leider nicht rund gelaufen in dieser Saison. Von Anfang an nicht. Dass wir uns am Ende, nach zwei knappen 3,5:4,5-Niederlagen gegen St. Pauli und HSK II, sogar auf einem Abstiegsplatz wiederfinden, ist natürlich bitter. Im Nachhinein betrachtet sollte uns nur ein halber Brettpunkt fehlen: Ein 4:4 in einem dieser beiden Kämpfe hätte zum Klassenerhalt in der 2. Bundesliga Nord gereicht.

Die oft engen Spielverläufe zeigen aber auch, wie ausgeglichen es in dieser Liga zugegangen ist.  Beispielsweise wäre für uns ein Sieg gegen St. Pauli am vorletzten Spieltag die Rettung gewesen, während St. Pauli dann anderntags um den Abstieg hätte kämpfen müssen. Weil sie uns aber knapp besiegten, konnten sich die Strategen vom Millerntor sogar noch theoretische Hoffnungen auf den Aufstieg machen.

Es kam anders, der Aufsteiger heißt Rüdersdorf (Glückwunsch aus Bremen!), und die drei Absteiger sind Norderstedt, Tegel und – vielleicht – wir. Ganz klar ist die Sache nämlich noch nicht. Der Grund: In der 1. Bundesliga sind die Schachfreunde Berlin sowie der Hamburger SK keineswegs gesichert, und falls es einen dieser beiden Vereine tatsächlich erwischen sollte, würde es deren zweite Mannschaft automatisch in die Oberliga stürzen.

Für die Kollegen aus Hamburg bzw. Berlin wäre ein solches Szenario natürlich höchst unschön. Und für uns wäre es zu schön, um wahr zu sein: Die Statistikfreaks vom LigaOrakel beziffern unsere aktuelle Abstiegswahrscheinlichkeit kurioserweise auf 6,7 Prozent:
Das LigaOrakel (schachklub-bad-homburg.de)

 

Nur 6,7 Prozent! – so gut sah es während der gesamten Saison nicht aus, sagt unser Käpt‘n Christian Richter. Na, mal abwarten, was Ende April geschieht, wenn die Absteiger der 1. Bundeliga feststehen ...

Ehe ich endlich zu den Verläufen der jüngsten Wettkämpfe im Weserstadion komme, noch ein kleiner Rückblick auf unsere vorletzte Doppelrunde in Berlin. Immerhin hatten wir von dort drei Mannschaftspunkte mitgenommen und uns auf diese Weise in die Lage versetzt, den Klassenerhalt aus eigener Kraft schaffen zu können. Was nicht zuletzt an Tomi Nybäck lag, der uns in Berlin erstmals in dieser Saison verstärkte und seine beiden Partien stilvoll gewann.

Und auch in der finalen Doppelrunde war Tomi wieder eigens aus Finnland angereist. Gegen St. Pauli bekam er es mit dem spielstarken polnischen GM Bartosz Socko zu tun – es sollte die längste Partie dieses spannenden Kampfes werden. Bei Tomis heroischer Verteidigung war fast seine gesamte Bedenkzeit draufgegangen, am Ende lebte er nur noch von den 30 Sekunden Zeitzuschlag pro Zug – und das bei einem so schwierigen Endspiel, in dem Sockos Freibauer es schon auf die vorletzte Reihe geschafft hatte! Im 64. Zug verpasste Tomi schließlich den einzigen Rettungszug.

Nur ein Zug hält für Schwarz remis! Welcher?

Endstand: 4,5:3,5 für St. Pauli. Dabei hatten wir nach vier Stunden Spielzeit schon mit 3,5:2,5 Punkten in Führung gelegen. Christian Richter hatte nach eigenen Worten gegen einen Isolani „wohl symbolischen Vorteil“, es zeichnete sich aber Zeitknappheit ab und so endete diese Partie ebenso rasch remis wie bei Collin Colbow, der mit Schwarz spielend eine Zugwiederholung forcieren konnte.

Jonathan Carlstedt bekam als Weißspieler gegen St. Paulis Benedict Krause eine Dubow-Variante mit vertauschten Farben aufs Brett, die er zuletzt auch mit Schwarz hin und wieder angestrebt hat. Dank der Dubow-Variante erfuhr die Tarrasch-Verteidigung zuletzt eine gewisse Renaissance, die Hauptvariante hat eine starke Remis-Tendenz. Die Frage war jedoch, ob Jonny mit Weiß etwas aus seinem Mehrtempo machen könnte. O-Ton Jonny: „Ich dachte, ich hätte das Bauernopfer vor dem Damentausch noch in meiner Analyse gehabt. Der kleine, aber wichtige Unterschied war jedoch der Einschub Te1 und Te8. Das bedeutete, dass ich nach f6 kein Lh6 mit Tempo hatte. Anschließend war nicht mehr als Remis drin. Ich war eher derjenige, der aufpassen musste, nicht noch Probleme zu bekommen. Das Remis hat mich geärgert. Ich halte Benedict zwar für den stärkeren Spieler, aber in einem so wichtigen Kampf eine Weißpartie ohne richtigen Kampf Remis geben zu müssen ist ärgerlich.“

Sven Joachim konnte Paulis Frank Sawatzki schon im dritten Zug überraschen, indem er nach 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 seinen Läufer – schwupps! – einfach mal nach c4 stellte. Was ja relativ ungewöhnlich ist gegen Sizilianisch.

Einfach mal 3.Lc4!?

Sven zum weiteren Verlauf: „Da er den kritischen Varianten auswich, erhielt ich einen bequemen Vorteil, den ich beginnend mit 11.Lxe6 allerdings wieder vergab. Der Wendepunkt war der schreckliche Zug 19...Se5?, mit dem sich Schwarz aller aktiven Möglichkeiten beraubte. Danach konnte ich auf der c-Linie ein Spiel auf ein Tor aufziehen, was noch sehr lange hätte dauern können, wenn Sawatzki nicht mit 25...Tc8 erneut fehlgegriffen hätte, wonach der Bauer e5 forciert verloren ging.“

Alexander Markgraf, der wie Tomi in der Doppelrunde zuvor in Berlin ebenfalls eingesprungen war und einen wertvollen Punkt geholt hatte, saß diesmal Großmeister Igor Janik gegenüber. Mit Weiß gegen Caro-Kann spielend sah es zunächst ganz gut aus für Alexander, ehe er vom rechten Weg abkam und durch Zeitüberschreitung verlor.

Ich (Martin Breutigam) spielte erst zum zweiten Mal in meinem (schon etwas länger andauernden) Leben die Caro-Kann-Verteidigung, was sich als vernünftige Wahl erweisen sollte. Ausgangs der Eröffnung gewann ich einen Bauern und bald darauf die Partie.

12...Sd4 – mit Bauerngewinn

Den Ausgleich zum 3,5:3,5 schaffte St. Paulis Aljoscha Feuerstack, der dank seiner aktiven Türme die Tarrasch-Verteidigung von Gennadiy Fish doch noch knacken konnte. So lagen am Ende all unsere Augen und Hoffnungen auf Tomis langen, aber letztlich leider erfolglosen Abwehrkampf gegen Socko (siehe oben).

Am Sonntag schien also ein Mannschaftssieg gegen den Hamburger SK II Pflicht zu sein. Unser Gegner hatte im Vergleich zum Vortag umgestellt, Georgios Souleidis, saß nun an Brett eins. TomiNybäck kam gegen ihn mit leichtem Vorteil aus der Eröffnung, spielte fortan im +=-Modus und gewann am Ende auf überzeugende Weise.

Auch wir hatten auf zwei Positionen umgestellt: An Brett acht kam Hannes Ewert ins Team und Gerlef Meins an Brett vier. Mit Schwarz egalisierte Gerlef den Richter-Rauser-Angriff seines Gegners und kam zu einem ungefährdeten Remis. Sven Joachim gelang das gleiche Ergebnis mit der gleichen Farbe, etwa zum gleichen Zeitpunkt. O-Ton Sven: „Am Sonntag war ich es, der die Eröffnung misshandelte und nach fünfzehn Zügen schon sehr bedenklich stand.  Zum Glück fand Arne Bracker nicht die stärksten Fortsetzungen, so dass ich mich wieder herauswinden konnte. Vor die Wahl gestellt, in ein etwas besseres, aber kompliziertes Endspiel einzulenken oder die Stellung zu wiederholen, entschied er sich für letzteres. Da war noch nicht abzusehen, dass wir in der vierten Stunde drei Partien verlieren würden.“

Auch ich konnte am Ende meiner Weißpartie gegen Tom-Frederic Woelk über ein Remis froh sein. Eigentlich war ich ganz angenehm aus der Colle-Zukertort-Eröffnung gekommen, wählte dann aber im 14. Zug einen seltsam gekünstelten Plan, der den leichten Vorteil aus der Hand gab. Das Remisangebot im 24. Zug war vermutlich meine beste Entscheidung in der ganzen Partie. Die Engines sehen nämlich schon eher Schwarz im Vorteil.

Die Entscheidungen fielen in der vierten Spielstunde. Während Collin Colbow,Alexander Markgraf und Hannes Ewert ihre Partien leider nicht halten konnten, gelang Jonny Carlstedt ein Sieg gegen Frank Bracker.

Jonnys Gewinnzug 31.Sd5!

O-Ton Jonny: „Mit Frank habe ich viele Jahre in einer Mannschaft gespielt und bin mit ihm seit bald 20 Jahren befreundet. Er ist ein sehr starker Spieler und mit seiner derzeitigen Elo völlig unterbewertet. Vorbereitet hatte ich mich eigentlich auf Merijn van Delft, meinen ehemaligen Trainer, gegen den ich vor knapp einem Monat in der holländischen Liga gewann. Ich hatte mich entschieden den ‚Vincent Keymer-Aufbau‘ zu spielen, mit c4, Sf3, Sc3, e3. Das Mittelspiel war sehr durcheinander. Ich hatte die hängenden Bauern und es gab eine Stelle da hätte er mit ...Lxf3 gefolgt von ...Txc4 einen Bauer mitnehmen können. Das hatte ich auch gesehen, dachte aber, dass ich mit meinem Läuferpaar ausreichend Kompensation habe. Dem stimmt die Engine mehr oder weniger zu, da sie nur leichten Vorteil für meinen Gegner gibt. Als er den Bauer nicht mitnahm, stehe ich bereits objektiv besser. Auch in der Analyse haben wir nichts gefunden. Die Stellung sieht zwar optisch noch völlig in Ordnung aus, aber sie ist bereits nicht gut und auch praktisch schwer zu spielen. Aber einem gewissen Punkt spielte sich die Stellung von selbst. Am Ende investierte ich nochmal den Großteil meiner Zeit um die korrekte Gewinnführung zu finden. Die ließ sich Frank aber nicht mehr zeigen und gab auf. Ich dachte das wäre ein wichtiger Punkt für den Klassenerhalt, da ich zwischendurch bei Collin große Hoffnung hatte. Das mit der Aufgabe von Frank wir bereits 4,5 hinten lagen, war übel. Ein beschissenes Wochenende in einer sehr unglücklich gelaufenen Saison.“

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