"Das würde kein Mann der Welt machen"

Birte Brüggemann im Interview zu 50 Jahre Frauenfußball

Die gebürtige Bremerin leitet die Geschicke für Frauenfußball beim SVW (Foto: Heidmann).
Frauen
Sonntag, 01.11.2020 / 16:42 Uhr

Das Interview führte Lukas Kober

Deutschland feiert 50 Jahre Frauenfußball. Am 31.10.1970 kippt der DFB seine Satzung, die Frauen das Fußballspielen verbietet. Ein Startschuss für eine "zähe", aber erfolgreiche Historie über die Werders Abteilungsleiterin für Frauen- und Mädchenfußball, Birte Brüggemann, zu berichten weiß. Nach dem Kommentar von Präsident Dr. Hubertus Hess-Grunewald (zum Kommentar), erzählt Brüggemann von ihren Erfahrungen in den 80er Jahren, über Hürden, Klischees, Ängste und die Entwicklung beim SVW. In den kommenden Tagen werden weitere Berichte prominenter Werderfrauen folgen.  

WERDER.DE: Moin Birte, du warst schon immer ein sportbegeisterter Mensch, hast aber mit 14 Jahren erst angefangen, Fußball zu spielen. Wie war die Situation damals für dich?

Birte Brüggemann: „Ich war die erste Spielerin in meinem Umfeld. Das war Fluch und Segen zugleich. Es gab damals nur eine Bremer Frauen-Auswahl. Eine Mädchenauswahl sollte erst noch aufgebaut werden. Ich wurde zu einem Probetraining mit vier, fünf anderen Mädchen eingeladen. Am Ende war ich das einzige Mädel, weil alle anderen abgesagt hatten. Da war ich mit 14 Jahren plötzlich bei diesen erwachsenen Frauen, die Fußball gespielt haben, dabei. Auch in der Schule war ich ganz oft das einzige Mädchen, was Fußball gespielt hat. Dies begleitete mich mein ganzes Leben lang. Erst als der Frauenfußball populärer wurde und ich meine Trainerlizenzen gemacht habe, änderte sich das.“

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12.07.2022 / 18:40 / Frauen

WERDER.DE: Kannst du genauer ausführen, warum es Fluch und Segen zugleich war?

Birte Brüggemann: „Als fußballspielendes Mädchen war man auf gewisser Weise bekannt und anerkannt, vor allem, wenn in der Schule Mannschaften im Sportunterricht gewählt wurden. Der Fluch daran war, dass ich in meiner Kindheit oder später als junge Frau immer in das Mannsweiberklischee gedrängt wurde. Allein schon im Sportunterricht: Ich bin noch mit koedukativen Sportunterricht aufgewachsen, also getrennter Mädchen- und Jungen-Sportunterricht. Im Winter wurde bei uns geturnt, im Sommer Leichtathletik gemacht. Die Jungs haben immer Fußball gespielt. Daraus entstanden Konflikte, weil ich schon versucht habe, zu hinterfragen und kritisch zu sein, warum ich denn nicht Fußballspielen darf.“

WERDER.DE: Hat sich das auch im Beruf durchgezogen?

Birte Brüggemann: „Ja, auch bei heutigen Trainerlizenzen oder Berufen, ist der Fluch noch zu spüren. Du musst auf verschiedensten Ebenen trotz aller Expertise kämpfen, um die Akzeptanz deiner Rolle, aber auch um die Wahrnehmung deiner Kompetenz. Wenn ich es ganz stark formulieren würde, dann wirkt es manchmal wie ein Handicap. Also eine Frau im Fußball und dann noch im Frauenfußball sind eigentlich gefühlt - im Schatten der Männerdomäne - zwei Handicaps. Das ist schon viel besser geworden, aber es ist noch spürbar.“

"Bremen war wie ein gallisches Dorf"

WERDER.DE: Wie wurde das denn in deiner Familie und deinem Freundeskreis wahrgenommen?

Birte Brüggemann: „Meine Eltern fanden es fürchterlich, da ich auch in der Leichtathletik erfolgreich war, aber sie hatten auch keine Fußball-Affinität. Mein Opa hingegen war total stolz. Das heißt, es gab bei uns schon ein Ungleichgewicht. In dem Moment, als ich erfolgreich und über Landesauswahlen in bestimmten Ligen gespielt habe, hatte ich in der Familie und im Freundeskreis mehr Anerkennung. Das kann man symbolisch dafür sehen, in dem Moment, wo du erfolgreich bist, verdienst du auch den Respekt.“

WERDER.DE: 1989, 19 Jahre nach der Erlaubnis, hat der DFB den Entschluss gefasst, eine Frauen-Bundesliga zu gründen. 1990 begann dann der Spielbetrieb. Wie waren vorher die Strukturen im Frauenfußball?

Birte Brüggemann: „Es gab sie im Wettbewerb kaum, weshalb mir Vereinsfußball gar nicht viel Spaß gemacht hat. Bremen war sowieso wie ein gallisches Dorf, hier gab es einfach wenig. Wenn ich nach links und rechts geguckt und den Spielbetrieb der Jungs gesehen habe, waren die Unterschiede nicht zu verkennen. Dort gab es normale Wettbewerbe, eine Landesauswahl bis hin zu einer Herren-Auswahl. Zudem spielte man bei Werder Fußball, es gab die Amateure. Dazu kommt, dass wir anstatt zweimal 45 Minuten, nur zweimal 35 Minuten spielen durften. Das heißt, es wurde schon am Anfang ein klares Statement gesetzt, dass es ‚anders‘ ist. Im Frauenfußball gab es auch keine Talentenselektion. Für die Nationalmannschaften gab es Empfehlungen. Wenn dein Trainer dein Potential und Können erkannt hat, konnte er empfehlen. Außerdem mussten wir ganz andere Dinge in unsere Überlegungen miteinbeziehen, wenn ein Angebot von einem anderen Verein kam.“

WERDER.DE: Zum Beispiel?

Birte Brüggemann: „Wie ist dort die Jobsituation? Wo kann ich studieren bzw. meine Ausbildung machen? Das sind Fragen, mit denen mussten wir uns beschäftigen. Das hat sich auch heute noch nicht geändert. Ein krasses Beispiel ist Claudia Müller, die in Bremen groß geworden ist, in Hannover gelebt und gearbeitet und beim FFC Frankfurt gespielt hat. Das heißt, sie ist drei bis vier Mal die Woche mit dem ICE nach Frankfurt gefahren. Das würde kein Mann der Welt machen.“

Der Frauenfußball wird dem Männerfußball niemals den Rang ablaufen, aber das hat auch nie jemand gefordert.“
Birte Brüggemann

WERDER.DE: Trotzdem hat sich ja auch eine Struktur entwickelt, immer mehr Frauenfußball-Abteilungen wurden gegründet. Du hast aber unteranderem bei TuS Eintracht gespielt, der vorher – ich nenne es jetzt einmal so - ein reiner Männerverein war. Gab es da Reaktionen?

Birte Brüggemann: „Bei TuS Eintracht haben wir in der Oberliga gespielt. Damit waren wir in einer höheren Liga als die Männer. Das hatte einen riesen Konflikt innerhalb des Vereins zur Folge. Beispielsweise hat uns der Funktionär einmal mitten im Training das Flutlicht ausgestellt und uns zugerufen: ‚Ihr macht mir den Platz kaputt!‘ Ich verallgemeinere das einmal bewusst: Die Angst der Männer, dass wir ihnen etwas wegnehmen könnten, hat die Geschichte des Frauenfußballs zu einer sehr zähen gemacht. Der Frauenfußball wird dem Männerfußball niemals den Rang ablaufen, aber das hat auch nie jemand gefordert.“

WERDER.DE: Es ist bekannt, dass Hannelore Ratzeburg, die heutige DFB-Vizepräsidentin, früher Briefe an den DFB gesendet hat, um Veränderungen in den Strukturen zu ermöglichen. Inwieweit muss man heutzutage noch für den Frauenfußball ‚nerven‘?

Birte Brüggemann: „Ich habe schon als junge Frau auf Strukturen und Maßnahmen des Bremer Ausschusses kritisch hingewiesen. In dem Moment, als ich die Chance bekommen habe, mitzuwirken, wollte ich es besser machen. Man darf nicht immer den Finger auf andere richten, aber selbst nicht aktiv werden. Deshalb müssen meine Mitstreiter*innen und ich für Werder, die Frauen-Ligen oder die Nationalmannschaft kämpfen und ‚nerven‘. Das gehört dazu, wenn man den Frauenfußball in Zukunft weiter etablieren will.“

Vom Verband zum SV Werder

WERDER.DE: Seit 2006 bist du beim SV Werder als Abteilungsleiterin aktiv. Wie ist das zu Stande gekommen und warum hat sich der SVW für den Frauenfußball entschieden?

Birte Brüggemann: „Ich selbst war als DFB-Stützpunktkoordinatorin auch Trainerin der weiblichen Verbandsauswahl im Bremer Fußballverband (BFV). Dort hatte ich Schwierigkeiten, nicht nur in der Qualität, sondern auch in der Quantität, Spielerinnen zusammenzukriegen. So hart das klingt: Der Bremer Fußball war nicht attraktiv, weshalb viele Spielerinnen ins niedersächsische Umland gewandert sind. Wir waren an dem Punkt, an dem wir uns fragten: ‘Wie wollen wir das eigentlich noch schaffen, Auswahlen zu stellen, um den Verband zu stärken?’ Deswegen hat der BFV tatsächlich bei Werder um Hilfe gebeten und versucht, Druck auszuüben. Zusätzlich hat damals die UEFA sich zum Frauenfußball bekannt. So hat sich Werder 2006 dafür entschieden, den Frauenfußball im Verein zu etablieren. Auf der Mitgliederversammlung im November des Jahres hat Klaus-Dieter Fischer den Entschluss, sich im Frauenfußball zu engagieren, schließlich verkündet.“

WERDER.DE: Mit welcher Perspektive?

Birte Brügemann: „Die Perspektive war leistungsorientiert zu handeln, aber sanft vorzugehen. Wir haben den Frauenfußball bei Werder von Null aufgebaut. Es gibt Vereine in Deutschland, die dafür andere Modelle gewählt haben. Beispielsweise hat Bayer Leverkusen TuS Köln übernommen, den gleichen Fall gibt es auch bei Wolfsburg. Wir haben vorsichtig gecastet und eine tolle Synergie aus Verband und Verein geschaffen. Das ist bundesweit einmalig. Alles ist sehr respektvoll zwischen den Institutionen abgelaufen, sodass es am Ende alle gut fanden, dass Werder jetzt Frauenfußball macht.“

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