Wiese: "Boenisch steht in meiner Werder-Top-Elf"

Torhüter Tim Wiese wird am Samstag zum letzten Mal als Werderaner in der Ostkurve einlaufen.
Profis
Donnerstag, 03.05.2012 / 15:02 Uhr

Seit Wochen steht der Abschied von Torhüter Tim Wiese fest. Nach sieben Jahren verlässt der Publikumsliebling und Nationaltorhüter die Grün-Weißen. Seit 24 Stunden ist nun auch klar: Es geht nach Hoffenheim. Zum großen Abschieds-Interview traf sich Tim vor ein paar Tagen exklusiv mit WERDER.TV und WERDER.DE an einem ganz besonderen Ort. Zimmer 208 im Bremer Parkhotel. "Hier habe ich gefühlt 200 Mal geschlafen. Das war mein zweites Zuhause. Ich kann noch gar nicht glauben, dass ich vor dem Schalke-Spiel hier zum letzten Mal übernachte", so der Keeper, der im Interview viele Erinnerungen hervorkramt.

Steigen wir ein, mit den schönsten Wochen deiner Karriere: Der Nordderby-Wahnsinn im April und Mai 2009! Die "Vier-Chancen-Tournee" zwischen dem Hamburger SV und dem SV Werder. Welches war das schönste Spiel? Das Halbfinale im DFB-Pokal oder das Rückspiel im UEFA-Cup-Halbfinale?
Tim Wiese: Die fanden ja beide in Hamburg statt und das war schon mal schön. Aber schwer ist die Frage nicht, weil für mich das DFB-Pokal-Spiel ganz weit oben steht. Das war das absolute Highlight.

Also gleich die erste Partie?
Tim Wiese: Ja, ich hatte mich ja ein wenig aus dem Fenster gelehnt und die lockere Ansage gemacht, dass die Hamburger gleich was auf den Sack bekommen werden. Und dass dann so ein Spiel in die Verlängerung geht, ins Elfmeterschießen. Dass du in so einem Spiel drei Elfer halten kannst. Das ist nicht zu toppen.

Dein Jubelsprint ist heute noch unvergessen.
Tim Wiese: Das war nicht geplant. Das kam einfach aus mir raus.

Und das Papierkugel-Spiel?
Tim Wiese: Vielleicht ist das der Grund, warum meine Rangliste so einen klaren Sieger hat. Die Story mit der Papierkugel habe ich aus meiner Position ganz hinten gar nicht mitbekommen. Ich habe nur wahrgenommen, dass es ohne Not Ecke für uns gab. Die Papierkugel habe ich erst später in den Zusammenfassungen gesehen.

Der einzige Mini-Fleck auf der weißen Derby-Wochen-Weste war das 0:1 im UEFA-Cup-Hinspiel. Ein Kopfball ausgerechnet vom kleinen Piotr Trochowski. Gab es da mal einen Spruch bei der Nationalmannschaft?Tim Wiese: Das war ein perfekt getimter Kopfball. Und so wenig Sprungkraft hat er gar nicht. Aber was hätte er für Sprüche machen sollen? Wir haben in diesen Duellen alle Wettbewerbe gewonnen.

Zu deiner Nordderby-Geschichte gehört auch den Zweikampf mit Ivica Olic. War das rot?
Tim Wiese: Sicher hätte man da auch rot geben können. Aber ich habe das ja schon so oft beschrieben. Es war keine Absicht, ich habe ihn nicht gesehen, bin nur nach dem Ball gegangen, er hat sich zum Glück nicht verletzt und wir haben das schnell ausgeräumt. Zwischen uns ist das kein Thema mehr. Wir haben uns ja erst beim letzten Heimspiel vor zwei Wochen wieder gesehen.

Zu den großen Spielen deiner Werder-Zeit gehörte auch das UEFA-Cup-Finale.
Tim Wiese: Leider gehörte es auch zu den bitteren Erfahrungen. Es war einfach so schade, dass wir nicht mit unserer richtigen Mannschaft da antreten konnten. Diego und Almeida waren aus dem Halbfinale gelb-gesperrt. "Merte" war verletzt und wir hatten sicher auch nicht den besten Tag. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir mit allen Mann an Bord auch diesen Titel mit nach Hause genommen hätten. In Erinnerung ist mir auch die schwache Stimmung. Es war viel neutrales Publikum im Stadion. In der Türkei geht's wohl erst richtig ab, wenn auch einheimische Teams spielen. Nach den Nordderby-Wochen fiel das richtig auf.

Gab es noch andere Spiele mit großen Enttäuschungen?
Tim Wiese: Wir haben leider in meiner Zeit keinen Meistertitel geholt. 2007 war es sehr knapp. Da haben wir das Ding selbst verbockt. Da hatten wir eine Mannschaft zusammen, die den Titel hätte holen müssen. Ich kann mich noch gut an das Spiel in Bielefeld erinnern. Wir haben dort vier Spiele vor Schluss überraschend 2:3 verloren. Wenn wir das besser gemacht hätten, wäre der Titel ein Selbstläufer geworden. Ganz bitter für mich: Ich konnte nicht eingreifen. Ich hatte bei Espanyol Barcelona die Rote Karte gesehen und Andi Reinke sollte in Bielefeld für das UEFA-Cup-Rückspiel Spielpraxis sammeln.

Das Gegenstück zur Bielefelder Alm, die mit negativen Erinnerungen verbunden ist, muss dann aber die Allianz-Arena sein!
Tim Wiese: Ja, da bin ich immer gern hingefahren. In München habe ich mit Werder nie verloren, darauf bin ich auch ein bisschen stolz. Unvergessen natürlich der 5:2-Sieg als wir in der 67. Minute schon 5:0 führten.

Typisch Werder, dass dann noch zwei Tore gefallen sind. "Zu-Null-Spiele" hast du ja nicht sehr oft erlebt.
Tim Wiese: Die habe ich mit "Merte" immer besonders gefeiert. Bei uns ging es immer rund. Aber das war eben die Spielweise des SV Werder. Volle Offensive, immer Spektakel. Aber ganz ehrlich: Wir sind doch gut damit gefahren. Klar, haben wir Gegentore bekommen, aber mir hat das dennoch Spaß gemacht. Außerdem gab es auch eine Phase, in der auch wir lange den Kasten dicht gehalten.

Im Herbst 2009 als du fast den Werder-Rekord von Oliver Reck geknackt hattest?
Tim Wiese: Damals haben mir nur noch etwa 20 Minuten gefehlt. Wir mussten in Bochum antreten. Ich war zu allem entschlossen, weil Rekorde immer etwas Schönes sind. Aber wir gingen auf dem Platz und nach zwei Minuten hatte es bei mir schon geklingelt. Wir haben dann noch 4:1 gewonnen, aber meine Serie war futsch. Ärgerlich.

Aber es gab noch viele Spiele, denen du den Wiese-Stempel aufdrücken konntest. Welche fallen dir spontan noch ein?
Tim Wiese: Also gut, die Spiele gegen Hamburg stehen natürlich weit oben. Aber danach erinnere ich mich noch gut an das Europapokal-Spiel gegen Braga. Mit zwei Foulelfmetern gegen uns in einer Halbzeit. Ich konnte beide halten. Ich bin mir heute noch sicher, dass es zwei Fehlentscheidungen waren.

Am Ende der Partie gab es sogar auch noch einen Elfmeter für uns und das Stadion forderte dich als Schützen.
Tim Wiese: Aber Hugo Almeida hat geschossen. Diese Szene gab es auch in einem Spiel gegen Hannover mal. Aber ich sollte das Tor hüten.

Der Trainer hatte dich nicht so auf der Elfmeterschützenliste?
Tim Wiese: Nein, vielleicht wollte er mich vor der Erfahrung bewahren, die Oliver Kahn gemacht hat. Er ist einmal zum Elfmeter angetreten und hat verschossen. Aber vielleicht gelingt mir trotzdem irgendwann mal ein Tor. Das wäre schon schön, wenn man so lange in der Bundesliga spielt. Fast wäre es mir letzte Saison gegen Wolfsburg gelungen, aber da kam "Merte" mir zuvor und köpfte ein. Ich stand genau hinter ihm.

Hat das dein Verhältnis zu "Merte" belastet?
Tim Wiese: Quatsch. "Merte" war einer meiner liebsten Kollegen. Wir haben uns immer gut verstanden, er war vielleicht einer der engsten Freunde im Team. Wir sind immer noch regelmäßig in Kontakt. Wir haben ja einige Abwehrschlachten geschlagen. Mit ihm konnte man auch mal flachsen. Er hat mir mal einen Spruch reingedrückt und ich ihm. Er gehört ins Allstar-Team meiner Werder-Zeit.

Oh, da sind wir aber auf die komplette Elf gespannt. Dann mal ran an die Taktiktafel!
Tim Wiese: Also ich stelle mich ins Tor.

Okay, das verstehe ich.
Tim Wiese: In der Viererkette rechts natürlich Clemens Fritz, der hat da schon so viele Spiele gemacht, der kann das. In der Mitte Naldo und Mertesacker.

Auf den rechten Verteidiger bin ich sehr gespannt. Da hast du ja einige erlebt.
Tim Wiese: Ich stelle Sebastian Boenisch auf. Der hat so viel Power und Talent. Ich bin überzeugt, dass er sich noch richtig zeigen wird, wenn er mal verletzungsfrei bleibt. Ich würde es ihm sehr wünschen, denn auch er gehört zu den Kollegen, mit denen ich mich sehr gut verstehe.

Und wie geht's im Mittelfeld weiter?
Tim Wiese: Auf der Sechs kommt "Lutscher" zum Einsatz. Er hat das immer gut gemacht und meine Top-Elf braucht so einen Typen. Dann Özil und Hunt und auf der Zehn Micoud oder Diego. Ich entscheide mich für Diego, weil ich länger mit ihm gespielt habe.

Und im Sturm?
Tim Wiese: Da gibt's keine Überraschungen: Klose und Pizarro, die beiden überragenden Stürmer der letzten Jahre.

An der Seitenlinie muss Thomas Schaaf stehen. Du bist schließlich der einzige deutsche Profi-Torwart, der in den letzten sieben Jahren nur unter einem Trainer arbeitete.
Tim Wiese: Ja, da steht Thomas Schaaf.

Wie kam denn der Vulkan Tim Wiese mit seinem Cheftrainer zurecht?
Tim Wiese: Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Ich hatte mit ihm bis auf ein paar Ausnahmen keine Probleme. Klar hat er mich auch mal laufen geschickt als ich mal etwas nicht ganz umgesetzt habe, aber das war alles in Ordnung. Er ist ein ruhiger Typ.

Unter Thomas Schaaf und Torwarttrainer "Tiger" Kraft hast du auch den Sprung in die DFB-Auswahl geschafft. War das ein großes Ziel von dir?
Tim Wiese: Ja, das hatte ich schon früh vor Augen. Ich war ja bei der U 21-Nationalmannschaft im Tor und mir wurde immer prophezeit, dass ich den Sprung nach oben schaffen würde. Dann haben mich die beiden Kreuzbandrisse zurückgeworfen. Ich habe mich dann wieder dorthin gearbeitet und bin jetzt vier Jahre dabei. Ich durfte die WM in Südafrika miterleben und hoffe, jetzt bei der EURO dabeizusein. Diese Turniere sind wirklich grandiose Erlebnisse.

Viele haben dir nicht zugetraut, dass du dich als Nummer zwei oder drei in so eine Turniermannschaft einfügen kannst.
Tim Wiese: Ich weiß gar nicht, wie solche Einschätzungen immer zustande kommen. Ich bin ehrgeizig, aber wenn der Trainer die Ansage macht, dass ich auf der Bank sitze, dann ist das kein Problem. Dann bin ich trotzdem mit Spaß bei der Sache und gebe im Training Gas.

Außerdem braucht dich das Team für die Ansprachen bei Angela Merkel.
Tim Wiese: Ja, das scheint so zu sein. Da muss ich immer ran. Anscheinend bin ich in der Truppe nicht ganz unbeliebt. Bei einem Termin mit der Kanzlerin riefen plötzlich alle meinen Namen und ich musste eine Ansprache halten. Dann fing ich natürlich an mit "Hallo Frau Merkel, schön, dass sie da sind. Wir geben alles für Deutschland." Und so weiter. Die Rede hat offensichtlich einigen gefallen. Im Laufe der WM und den späteren EM-Qualifikationsspielen kam es dann zu weiteren Auftritten von Frau Merkel und ich wurde automatisch immer wieder gefordert.

Dann ist das ja bei der Bundeskanzlerin wie in der Ostkurve. Du wirst immer gefordert, nach vorn zu treten.
Tim Wiese: Ja, das kann man sagen. Ich muss da immer hin zum Megaphon. Da kannste ja nicht NEIN sagen, wenn die Fans dich fordern. Aber ich mache das auch gerne. Ich bin ein offener Typ, gehe gerne auf die Menschen zu und mache auch mal einen Spaß mit oder kann über einen Spaß auf meine Kosten lachen. Manchmal bin ich ein bisschen flapsig. Man darf auch nicht alles so ernst nehmen.

Das hat dir aber auch schon Kritik eingebracht.
Tim Wiese: Ach, man darf auch nicht alles überbewerten. Es geht auch ganz schön spießig zu in der Bundesliga. Die Bundesliga wäre doch tot, wenn du vor einem Derby nicht mal sagen darfst, dass du dem HSV sportlich auf den Sack geben willst. Aber wenn du was sagst, regen sich wieder alle auf. Das finde ich komisch.

Wirst du die Spiele vor der Ostkurve vermissen?
Tim Wiese: Ich werde ganz viel vermissen. Aus dieser Station Bremen wird alles sehr lange hängen bleiben. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt. Meine Frau findet es super hier. Hier wurde unsere Tochter geboren. Wir haben sehr viele private Freunde hier. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir nach meiner Karriere hierher zurückkommen. Ich bin auf jeden Fall traurig, dass es nach so langer Zeit hier zu Ende geht.

Das klingt nach Tränen beim Abschied.
Tim Wiese: Es werden immer weniger Tage bis zu meinem letzten Spiel für Werder! Der Abschied beschäftigt mich schon. Meine Familie wird im Stadion sein. Ob es Tränen gibt weiß ich noch nicht. Wir werden sehen.

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews mit Tim Wiese.

Das Interview führte Michael Rudolph.

 

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